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Ritterstolz und Willkür

„Ritterstolz und

Willkür“

eine Begegnung mit dem

Mittelalter

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Tauchen Sie ein in das Mittelalter und erleben Sie jene Vielfalt, die auf die Menschen jener Tage einwirkte und ihr Weltbild formte.

Wie stellt man sich im Allgemeinen den mittelalterlichen Ritter vor? Er sitzt zu Pferd, kämpft in einer Eisenrüstung gegen den Feind, mißt sich im Turnier mit seinen Standesgenossen oder sitzt daheim auf einer stolzen Burg und läßt es sich auf Kosten seiner bäuerlichen Zinsleute gut gehen.

Doch umfaßt das Rittertum weit mehr als diese romantische Vorstellung. Das Buch „Ritterstolz und Willkür“ will helfen, die Begegnung mit dem geheimnisumwobenen Rittertum und dem harten Leben des mittelalterlichen Menschen an drei ausgewählten Beispielen verständlich zu machen. Geschichte also, die quellenmäßig zu belegen ist.

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Das Siegel der Goldegger in Niederösterreich

Der erste Abschnitt „Auf den Spuren der Goldegger“ ist Ausgangspunkt unserer Betrachtungen. Während das Geschlecht der Goldegger aus Salzburg ausreichend erforscht ist, gab es bisher keine grundlegende Darstellung ihrer niederösterreichischen Verwandtschaft. In wissenschaftlichen Werken älteren Datums findet sich des Öfteren der Hinweis, daß eine wahrscheinliche Verbindung zwischen den Goldeggern in Salzburg, Niederösterreich und Südtirol vorhanden ist. Nach den neueren Forschungen war dieser Meinung nicht mehr nachgegangen worden, sodaß wir hier erstmalig über die Frage der Herkunft und verwandtschaftlichen Bindungen der Herren von Goldegg mehr erfahren.

Für die Errichtung der Herrschaft Goldegg in Niederösterreich steht die Figur des Konrad von Goldegg aus Salzburg im Mittelpunkt. Das ergreifende Schicksal dieses Goldeggers nimmt einen breiten Raum ein. Als tüchtiger Krieger, jedoch vom Glück nicht recht begünstigt, war Konrad 1289 in den großen Konflikt seiner Zeit, den Streit zwischen dem Salzburger Erzbischof und den Habsburgern geraten. Die ehrgeizigen Pläne des Goldeggers lassen Geltungssucht und Machtstreben erkennen, als er dem Erzbischof gegenüber den Treueid aufkündigt und sich dem Aufsteiger, Herzog Albrecht I. von Österreich, dem Sohne Rudolfs I., zuwendet. Die Kündigung eines Eides durch den Untergebenen muß ein aufsehenerregendes Ereignis gewesen sein, ein ziemlich einzigartiger Vorfall! Damit aber hatte sich der Goldegger selbst zum Spielball der Mächtigen gemacht, der zu spät begriff, daß er auf den falschen Herrn setzt.

Überhaupt fällt es schwer, diesem Konrad von Goldegg gerecht zu werden. Bereits seine Zeitgenossen haben an seinem Schicksal regen Anteil genommen, und der Geschichtsschreiber „Herr Otacher ouz der Geul“ hat den Fall in seiner Steirischen Reimchronik mit besonderer Aufmerksamkeit dokumentiert.

 

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Das Reitersiegel Albrechts I.  von Österreich

(nach Hanthaler)

Vom bewegten Leben unseres Konrads erfahren wir, dass die Beziehungen zu seinem neuen Herrn, dem Habsburger, sich etwas merkwürdig entfalteten. Obwohl Konrad von Goldegg erst ein Jahr zuvor den Eid geleistet hat, nimmt er am steirischen Adelsaufstand teil und ist unter den widerspenstigen Steirern zu finden, die erst 1293 kleinmütig beigeben. Bei dem am 25. Mai des Jahres 1293 geschlossenen Frieden zu Linz kommen die Anstifter glimpflich davon, nur „Chunrad von Goldeke“ wird in die „Sühne“genommen.

Die politische Rolle des Goldeggers in den österreichischen Ländern scheint ausgespielt. Sein weiteres Schicksal erregt auch nicht mehr die Aufmerksamkeit des Steirischen Reimchronisten. Nur einige dürftige Angaben lassen die Schwierigkeiten erahnen, in die sich der Überläufer gebracht hat. Zur selben Zeit häufen sich auch die Klagen des Salzburger Domkapitels gegen Konrad von Goldegg. Es ging um seinen Salzburger Besitz. Der Salzburger Klerus saß sichtlich am längeren Ast, und so mußte Konrad dem Metropoliten eine ansehnliche Reihe von Gütern übergeben.

Die einzige Urkunde, die Konrad in Niederösterreich erwähnt, stammt aus dem Jahre 1302 und ist besonders wert, berücksichtigt zu werden: Die „vornehme und ehrsame Ehefrau Mechtildem de Goldek, Witwe des Herrn Chunradi de Goldek“ stiftet dem Kloster Melk zum Seelenheil ihres Mannes 30 Pfund Wr. Pfennige. Der gestiftete Betrag kam Melk sehr zugute, da das Stift dringend Mittel für die Ablösung einer Mühle zu Krems benötigte. Nebstbei kam ein Maierhof zu Mauer an das Kloster Melk.

Wenn wir uns die bisherigen Schritte mit dem Schwerpunkt der Stiftung an das Benediktinerkloster Melk aus dem Jahre 1302 nochmals vor Augen führen, so spricht alles dafür, daß Konrad der Goldegger seine letzten Lebensjahre in der Nähe von Melk, wohl auf Burg Goldegg bei St. Pölten verbracht hat. Unmißverständlich kommt zum Ausdruck, daß durch die Stiftung ein Vertrauensverhältnis zum Kloster Melk bestand, als Mechthild für das Seelenheil ihres Mannes sorgte.

Im September 1303 hält sich Mechthild, die Witwe unseres Konrads von Goldegg, wieder in Salzburg auf. Für sie bedeutet die Rückkehr nach Salzburg einen besonderen Glücksfall, denn sie ist nun am Salzbergabbau in Hallein beteiligt. Vor ihr waren die Herren von Gutrat, die ihren Hauptsitz in Zöbing bei Langenlois hatten, die Eigentümer dieses Salzberges. Wieso Mechthild von Goldegg nun das Erbe des Gutrater Salzberges antreten kann, verschweigen die Urkunden.

Das eigenständige Auftreten der Goldegger im niederösterreichischen Gebiet ist keineswegs als Selbstverständlichkeit anzusehen. Wir müssen davon ausgehen und festhalten, daß zeitgleich mit dem Eintritt des Salz­burgers Konrad von Goldegg in das Dienstverhältnis Herzog Albrechts auch die Errichtung der Herrschaft Goldegg in Niederösterreich erfolgte.

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Goldegg in Niederösterreich

Aus einem klosterneuburgischen Urbar erfahren wir, daß der Sohn des Goldeggers zwei Lehen in Sasendorf besetzt hält. Diese Feststellung, wo wörtlich geschrieben steht: „hoc occupat filius Goldeckkarii“(„…das okkupiert der Sohn des Goldeggers“) bezeugt, daß der Sohn eines bekannten Goldeggers, der darum auch nicht näher bezeichnet werden muß, als Besetzer und Zehentbezieher auftritt. Sowohl für den steirischen Reimchronisten Otacher ouz der Geul als auch für mittelalterliche Begriffe gab es im niederösterreichischen Raum nur einen bekannten Goldegger: den Salzburger Konrad von Goldegg. Der Goldegger hatte durch seinen Dienstherrenwechsel im Land einen derartigen Bekanntheitsgrad erreicht, daß dem Schreiber in Klosterneuburg einfach der Hinweis genügte „hoc occupat filius Goldeckkarii“. Somit ist ein Sohn (des bekannten) Goldeggers für die Besetzung verantwortlich.

Für den weiteren Verlauf der Geschichte der Goldegger ist die Schlacht von Mühldorf wesentlich:

Nach erfolglosen Feldzügen um die deutsche Königskrone zogen im September 1322 die Heere Friedrichs des Schönen von Österreich und des Salzburger Erzbischofs vereint gegen ihren Widersacher Ludwig (IV.), den Gegenkönig aus Bayern. Bei Mühldorf kam es am 28. September zur Schlacht, die für Österreich katastrophal endete. Die Habsburger Friedrich und Heinrich von Österreich wurden gefangen und viele Ritter erschlagen oder zu Gefangenen gemacht. Daß es bei Mühldorf nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen ist, berichten die zeitgenössischen Quellen. Von Verrat und Heimtücke wird auf Habsburger Seite berichtet.

Obwohl damals, bei der Schlacht von Mühldorf, der Salzburger Wulfing von Goldegg auf der Seite des Bayernkönigs Ludwig stand, mußte er zusehen, wie seine Salzburger Burgen zerstört wurden. In Österreich wirkte besonders erschwerend, daß König Friedrich der Schöne bei seiner Gefangennahme auf die Burg Dornberg geführt worden war, die Wulfing von Goldegg zu dieser Zeit innehatte. Noch Jahrzehnte später lastete die Erinnerung an Friedrichs Gefangennahme als schwere Kränkung auf den Gemütern der Habsburger.  Es ist zwar nicht ausdrücklich die Rede davon, daß die niederösterreichischen Goldegger mit den „Verrätern“ in Zusammenhang gebracht werden, aber die Umstände sprechen doch dafür.

Es zeigt sich in der Folge, daß die Goldegger sowohl in Salzburg als auch in Niederösterreich das gleiche Schicksal erleiden.  In beiden Fällen geben die Salzburger sowie die niederösterreichischen Goldegger ihren Besitz auf und nehmen ihn vom Landesherrn zu Lehen. Obwohl mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß sich die NÖ-Goldegger im Konflikt um die deutsche Königskrone gegen ihren Landesherrn gewandt haben, so scheinen sie doch in Ungnade gefallen zu sein. Wohl ist von seiten des Königs oder von den Goldeggern selbst die Sippenhaftung praktiziert worden, die zur freiwilligen und ersatzlosen Aufgabe eines freien Eigens führte. Oder die Goldegger hatten ein deutliches Zeichen zu setzen, um so ihre Untergebenheit zum Ausdruck bringen zu können. Festzuhalten ist, daß uns das Urkundenmaterial keinen Anhaltspunkt einer Verfehlung liefert.

Weiter gesehen wird es auch verständlich, daß die Goldegger in Niederösterreich Einbußen an Macht und Besitz hinnehmen mußten. Schritt für Schritt verlieren sie ihre ursprüngliche Bedeutung, der Niedergang des Geschlechtes wird offenkundig.

In aktiver Rolle läßt sich erst wieder 1359 ein Goldegger nachweisen. Es ist Hans (Jansen) der letzte Goldegger, den wir als Sohn des Ortolf von Goldegg bezeichnen dürfen. Im Jahre 1370 grassierte eine weit um sich greifende pestartige Epidemie. Vermutlich ist dieser Seuche auch Hans zum Opfer gefallen. Der Tod muß überraschend eingetreten sein, denn die letztwillige Verfügung konnte nicht mehr schriftlich festgehalten werden und mußte deshalb von den Verwandten erfüllt werden

 

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Goldegg nach Walter Aicher

Einen breiten Raum nimmt das Fehdewesen im zweiten Abschnitt: „Herren, Raubritter und andere Spießgesellen“ ein. Mit dem Aussterben der Babenberger im Jahre 1246 durch den Tod Friedrichs des Streitbaren war in Österreich eine völlig neue politische Situation entstanden. Erschreckend muß festgestellt werden, was passierte, als die schützende Hand der Landesfürsten fehlte. Wer irgendwie die Macht hatte, suchte sich zu bereichern oder nahm sich mit Gewalt, was man anders nicht bekommen konnte. „Herren, Raubritter und andere Spießgesellen“ unternimmt den Versuch, auf das grausame Los des einfachen Volkes aufmerksam zu machen. Während die Landesherren ihre Macht demonstrierten, brannten die Gehöfte der Untertanen, und niemand wußte, was dem Herrenvolk morgen in den Sinn kommen werde. Obwohl das sogenannte „Salzburger Schädenverzeichnis“ nur zur Dokumentation und Schadenswiedergutmachung erstellt worden war, ist es jedoch für uns heute ein erschütterndes und zugleich einzigartiges Zeugnis der Gewalttätigkeiten des Adels gegen den kleinen Mann.

Man erfährt, daß es besonders leidvoll die Wehrlosen trifft. Dörfer werden überfallen und geplündert, die Felder der Bauern verwüstet, ihre Höfe niedergebrannt. Immer weniger Menschen ernähren sich von redlicher Arbeit.  Brandlegung, Raub und Plünderung, Erpressung von Geld und Naturalien, Gefangennahme, Totschlag, Körperverletzung, erzwungene Dienst- und Steuerleistungen, Nötigung zur Gefolgschaft und Huldigung, Entzug der Salzburger Güter usw., sind an der Tagesordnung. Die Herren nennen ihre Streitigkeiten, ihre Raubzüge und Brandschatzungen Fehden und glauben, daß es ihnen zusteht, sich selbst Recht oder das, was sie dafür halten, zu verschaffen.

Unter den Übeltätern werden viele Ministeriale und Ritter genannt, darunter aus der Umgebung der äußerst aggressiv agierende Ulrich von Viehofen, Konrad von Zagging, Dietrich von Wasserburg, Meingot von Radlberg, Ulrich von Stollhofen, Ortolf von Doppel auf Karlstetten und Reinbot von Mechters. Besonders verwüstet und geschädigt werden die Bereiche um Sitzenberg, Traismauer, Inzersdorf, Wölbling, Grünz und Ratzersdorf (St. Pölten).

Viele Greueltaten sind heute unvorstellbar. Ulrich von Viehofen trieb es besonders arg. Er riß dem Gottfried von Grunntse ein Auge aus und beraubte ihn. Zielbewußt und ohne Skrupel machte jener Ulrich (von Viehofen) auch vor Frauen nicht Halt. Es war sicher nicht Liebe im Spiel, als er die Tochter des Heinrich von Landersdorf gefangennahm und, nachdem sie geflohen war und er sie nicht finden konnte, von ihrem Vater eine halbe Wagenladung Wein erpresste, wobei er bei dieser Gelegenheit noch das ganze Hab und Gut der geflohenen Tochter mitnahm.

Wir haben aber auch zur Kenntnis zu nehmen, daß die Diffamierung der Kuenringer als Raubritter oder zumindest als gefährliche Unruhestifter für unseren Raum und für diese Zeit nicht zutrifft. Vielmehr kommt aufgrund des „Salzburger Schädenverzeichnisses“ zum Vorschein, daß die Kuenringer lange Zeit versucht haben, Schutz für das Volk und das Salzburger Gut zu bieten.

Einen äußerst seltenen Hinweis finden wir im „Ausgraben des Offizials“. Der Vertreter der Herrschaft Nonnberg in Unterwölbling hatte sich in einen Erdstall geflüchtet. Wegen der gewundenen, engen Gänge konnte ein solcher Erdstall von einem Mann leicht verteidigt werden. Durch Ergraben des Erdstalles (also von oben her) war es den Angreifern in Unterwölbling möglich, relativ sicher zum Erfolg zu kommen.

Es waren dann die österreichischen Adeligen selbst, die, der Wirren und Kämpfe im Lande überdrüssig, nach einem starken Landesfürst riefen. Statt das Land zu beschützen, hatten sie untereinander Fehden geführt und sich so Schritt für Schritt auch selbst geschädigt. Unter den verschiedenen Kandidaten der Fürsten, die in Frage kamen, gewann der Sohn des mächtigen Königs von Böhmen, Premysl Ottokar II., Markgraf von Mähren, die Unterstützung der österreichischen Landherren. Im November 1251 rückte Ottokar in Österreich ein und beendet das Raubritterunwesen.

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„Die Botschaft der gotischen Masken“ läßt schließlich eine Welt wieder aufleben, die allgemein als das finstere Mittelalter gilt. Der Ausflug in die gotische Gedankenwelt des Mittelalters wird nirgends besser vermittelt als an der Pfarrkirche von Neidling (Bez. St. Pölten, NÖ.). Im Chor der kleinen Kirche verkünden menschliche und tierische Gesichter die Verbindung der Gläubigen zu Gott. Technisch gesehen sind die „Gesichter“ Konsolen, also Tragsteine, die die Kreuzrippen des Chores tragen. Die ganze Tragweite der Aussage dieser Konsolen wird erst erkennbar, wenn anhand von Vorbildern in der Natur die Verschmelzung mit den Grundlagen in der Bibel gelingt. Alles andere als Zufall ist es denn auch, daß in den Pfarrkirchen Markersdorf und Nußdorf an der Traisen die Konsolenplastik mit ähnlichen Attributen und dem gleichen geistigen Programm festzustellen ist.

Bisher hat sich die kunstinteressierte Welt noch nicht mit mittelalterlichen figuralen Konsolen und deren Bildinhalten beschäftigt, sodaß keine wissenschaftliche Arbeit vorliegt. Die maskenhaften Bildnisse in der Pfarrkirche Neidling lassen uns jedoch innehalten: Mittelalter, vierzehntes oder fünfzehntes Jahrhundert? Jedenfalls Gotik! – In Augenhöhe erscheinen die gemeißelten Gesichter. Unwillkürlich fragt man sich: „Handelt es sich um stumme oder sprechende Zeugen?“

Es wäre falsch, den Menschen der Vergangenheit genau dieselben Denk- und Empfindungsweisen, die wir heute von uns selbst kennen, zu unterstellen. So stellt das Denken des mittelalterlichen Menschen den Tod an die Spitze der Werteordnung. Größte Aufmerksamkeit kommt der Auferstehung im Jenseits und dem jüngsten Gericht zu. In einer Gesellschaft, in der nur ein Bruchteil der Bevölkerung lesen und schreiben konnte, kam der Bildersprache immense Bedeutung zu, sodaß die dargestellten Bilder von jedermann ohne weiteres verstanden wurden. Auch den Ungebildeten, den Analphabeten, war es damals möglich, die ganze Wahrheit zu erfassen. Vom Standpunkt der damaligen Logik ist auszugehen, wenn wir nun nach der Aussage fragen.

In Neidling sind es 8 Rippenkonsolen, die Menschen- und Tierköpfe darstellen. Die Köpfe zeigen (von links beginnend): Hirsch (ein Eckstein), Maske (betrübt), Wolf, Hund, Hase, Rind, Maske (zuversichtlich) und Widder (ein Eckstein). Eine zentrale Rolle spielen dabei die beiden Ecksteine, die verdeckt und doch allgegenwärtig sind und als „verschlüsselte Christusbilder“ zu verstehen sind.

Der äußerst linke Tragstein (ein Eckstein) zeigt einen Hirsch. Eine Verbindung zu Gott durch die Taufe stellt die Aussage „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.“(Psalm 42,2) her. Es folgt eine menschliche Maske mit dem Ausdruck von Furcht und Traurigkeit. Der Grund für den „freudlosen Menschen“ liegt an seinem Nachbarn, dem Wolf, der als Feindbild des Menschen gilt: „Ich weiß, nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen“ (Apostelgesch. 20,29). Dem Bösen entgegengestellt ist der Hund, dessen Eigenschaften der Treue und Wachsamkeit Schutz vor dem Wolf bieten. Naiv und zufrieden wirkt der Hase. Seine Wehrlosigkeit stempelt ihn zum Inbegriff des nur auf Gott vertrauenden Wesens. Die Kuh symbolisiert Geduldigkeit und Mütterlichkeit. Das Antlitz der nun folgenden menschlichen Maske „strahlt“. Der Mund ist leicht geöffnet, das „steinerne Gesicht“ vermittelt Hoffnung und Gottvertrauen. Man glaubt eine innere Zuversicht zu bemerken. Als letzte Darstellung, und wieder als Eckstein, folgt der Widder. Der Widder ist jenes Tier, das auf Geheiß Gottes anstelle Isaaks tatsächlich geopfert worden ist. Somit gilt der Widder als Ersatz für das Menschenopfer, als Vorbild zum Kreuzesopfer Christi mit dem Hinweis auf die Auferstehung.

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Der betrübte (freudlose) Mensch

Das „Neidlinger Programm“ will die Menschen zu Gott führen. Wenn man die einzelnen Bilder zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügt, ausgehend von der Taufe(Hirsch), der Überwindung des Bösen (Wolf) bis hin zur Wachsamkeit (Hund) und dem demütigen und geduldigen Wandeln (Kuh) auf Gottes Wegen (Hase), um durch Jesus Christus (Widder) das ewige Lebenzu erreichen, so wird die Verbindung  zwischen der Wirklichkeit auf Erden und den Worten in der Heiligen Schrift offenbar. Der tief religiöse Mensch sah darin auch ein Gleichnis für sein eigenes Leben, in dem alles seine Ordnung und seine Zeit hat. Es ist bewundernswert, wie gekonnt hier das in der Gotik übliche theologische Denken ins Bild gebracht wird.

Bei der Konsolengestaltung in den Kirchen Neidling, Markersdorf und Nußdorf scheint sich ein Stil, der trotz seiner einfachen und zweckbezogenen Aussage auf andere (gotische) Kirchen der Umgebung nicht übergegriffen hat, entwickelt zu haben. Zwar finden wir in der Kirche von Pyhra, wo die Konsolen mit Ornamenten verziert sind, oder in der Filiale von St. Peter am Anger in Außerkasten, wo drei als Menschengesichter gebildete (romanische?) Konsolen erhalten geblieben sind, vergleichbare Beispiele. Ein inhaltliches Programm vermitteln diese Steine jedoch nicht. Anders scheint es jedoch im Chor der Pfarrkirche Rastenfeld, Bez. Krems, zu sein, wo die Aussage der Konsolenplastik in ihrer jeweiligen Kopfbedeckung (Zweige zur Krone geflochten) und Haarpracht zu suchen ist. Schließlich ist die Filialkirche zum Hl. Veit in Unterwölbling zu nennen, wo „Reliefkonsolen“ die Arbeitswelt der Bevölkerung dokumentieren, indem menschliche Masken, teilweise von Weinstöcken umrankt, anzutreffen sind.

Konsolenplastik finden wir auch in Kärnten, z.B. in der Propsteipfarrkirche Wieting oder in der Pfarrkirche zum Hl. Andreas in Thörl-Maglern, wo ebenfalls – von links aus gesehen – der dritte Stein als Negativdarstellung auffällt. In Südtirol zeigen die Konsolen in der Pfarrkirche zu Afing die vier Evangelisten. Dieses Afing ist jener Ort nördlich von Bozen, wo die Edlen von Goldegg ab 1289 auftreten.

Eine Besonderheit für sich sind die beiden Maskenkonsolen in den Kirchen Eberstallzell und St. Leonhard bei Pucking in Oberösterreich, die wahrscheinlich „männlich“ und „weiblich“ versinnbildlichen.

Diese Arbeit über die Konsolen beabsichtigt nicht eine Zusammenstellung aller bekannten Konsolenplastiken, sondern will anhand des „Neidlinger Programmes“ das Denken und Fühlen des mittelalterlichen Menschen vermitteln. In seiner Not und Hoffnung gibt der einfache Mensch des Mittelalters einen Einblick in die Tiefe des Glaubens mit der Gewißheit auf die Auferstehung. Demgemäß ist die Konsolenanordnung in der Neidlinger Kirche ein ungeheurer „Eckstein des Glaubens“, eine sichtbare Selbstdarstellung, die sich widerspiegelt – in menschlichen und tierischen Gesichtern.

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Dieses Buch ist nicht nur im Zusammenhang mit der Lokalgeschichte des Bezirkes St. Pölten zu sehen, sondern bietet allen, die sich mit dem Mittelalter beschäftigen wollen, eine wertvolle Hilfe.

 

Auszüge aus Rezensionen:

„ ……. Eine Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein überaus sorgsam gestaltetes Register schließen den Band ab, der ein weiterer Beweis für die heimatkundliche Forschungstätigkeit seines Verfassers ist. Diesem kann man bescheinigen, daß er sich wirklich erstaunliche Kenntnis angeeignet hat. Der Band zeugt davon in umfassender Form.“

Univ.-Prof. Dr. Gustav Reingrabner, Institut für Kirchenrecht der Evangelisch- Theologischen Fakultät der Uni Wien, in: Das Waldviertel, 2/96

 

„ ……… Die Publikation zeigt, welche Mühe der Autor auf sich genommen hat, um ein kompliziertes Problem zu erforschen und gefällig zu vermitteln. Dafür und für seine anregenden Überlegungen verdient er jede Anerkennung.“

Univ.-Ass. Dr. Herwig Weigl, Uni Wien, Institut für Österr. Geschichtsforschung, in: Unsere Heimat, 2/96

 

Dieses Buch – 137 Seiten und 26 Seiten Fotos – ist beim Verfasser:

August Pachschwöll

august.pachschwoell@gmx.at

zum Preis von a‘ € 13,80 zugüglich € 1,20 Versandkosten zu  beziehen